Relativ früh verlassen wir unser Apartment und machen uns mit der St. Petersburger Metro auf den Weg zum Bahnhof von wo wir den Schnellzug Sapsan nach Moskau nehmen. Selbst um 6:30 ist schon relativ viel los und die russische Bahnhofsfolkloremusik ersetzt das gewohnte Morgenradio. Es ist eigentlich gar nicht so schwer sich auf den Bahnsteigen und im Bahnhofsgebäude selbst zurechtzufinden. Alles ist gut angeschrieben, der Großteil kyrillisch und Latein und auch die Ansagen sind relativ klar und deutlich zu verstehen, wenn man die wesentlichen Worte aufschnappt. Vor jedem Bahnsteig gibt es Sicherheitskontrollen und das Gepäck wird auf Waffen, Drogen oder Homosexuelle durchleuchtet. Auch beim Einstieg in den Zug kontrolliert ein Schaffner Reisepass, Ticket und Geschlecht der Reisenden. Der Sapsan genannte Schnellzug spiegelt höchste russische Ingenieurskunst wider: modernste Ausstattung, Bildschirme, die aktuelle Reiseinformationen anzeigen und den Reisenden wissen lassen, dass man auf russischen Gleisen mit über 200 km/h unterwegs sein kann. Alles ist hell ausgeleuchtet und das Zugspersonal kümmert sich sogar zu dritt um den von den Rollen meines Reisetrolleys tropfenden Schnee, den ich ein paar Sitzreihen weiter oben abgelegt und anscheinend nicht ausreichen abgewischt hab.
Lenin everywhere, aber wo ist unser Appartement
Nach 4 Stunden Reisezeit und wenigen Stops kommen wir am Moskauer Leninbahnhof an. Wie beim Bahnhof hat Lenin in Zuge der Benennung von Straßen und Plätzen in ganz Russland eine Vielzahl an Spuren hinterlassen. In beinahe jeder Stadt werden wir über die Straße des Lenin spazieren, am Platz des Lenin mit seiner Statue vorbeikommen und womöglich sogar in manchem Lenin-Restaurant einen Leninbraten speisen. Zuerst müssen wir aber unser über Airbnb gebuchtes Apartment finden, in dem wir die nächste Nacht in Moskau verbringen werden. Dank der 30-seitigen bebilderten Wegbeschreibung, die uns Ekaterina & Aleksey zugeschickt haben, sollte das jedoch kein Problem darstellen – mal schauen in welchem Konsulat, Ministerium oder in welcher Versuchsanstalt wir diesmal übernachten werden.
Wie schon am Weg zum Appartement werden wir uns in Moskau hauptsächlich mit der gut ausgebauten und sehr prunkvollen Metro fortbewegen. Nirgendwo anders als in den Ein- und Durchgängen der Unterwelt Moskaus sieht man so genau, wie nah Reichtum und Elend beisammen liegen. Pelztragende Russinen mit der Swarovski-Version des iPhone am Ohr (endlich ein Stück Heimat in Russland gesichtet) tummeln sich neben Bettlern, die sich vor der Kälte auf den Straßen in den Untergrund flüchten. Trotzdem wirkt alles sehr sauber, man sieht jede Menge Polizei und Kontrollen und es kommt in den seltensten Fällen das Gefühl der Unsicherheit auf.
Roter Platz im Weihnachtslook
Unser erstes Ziel ist der rote Platz, denn zumindest den und den Kreml muss man als Tourist in Moskau gesehen haben und da wir die Stadt morgen in der Nacht wieder verlassen werden, starten wir unseren Sightseeing Marathon noch mit der Abenddämmerung. Dort angekommen herrscht sehr reges Treiben, auch hier merkt man, dass Neujahr und Weihnachten vor der Türe steht und Väterchen Frost (das russisch-orthodoxe Pendant zu unserem Christkind bzw. Nikolaus) schon sehr laut anklopft.
Überall tönen statt der Bahnhofsfolklore amerikanische Weihnachtslieder (von manche die übersetzte russische Version) aus den Lautsprechern und über 100 Weihnachtsmärkte in ganz Moskau laden zum Glühweintrinken und Maroniessen ein, der größte von allen befindet sich direkt am Roten Platz zwischen Lenin-Mausoleum und Gum (dem größten Einkaufszentrum Russlands). In dieser Zeit weicht das Gedenken Lenins aber ganz eindeutig der westlichen Konsumfreude und selbst wir müssen aufgrund der Öffnungszeiten (Montag hat Lenin Ruhetag) unsere Visite auf ein anderes Mal verschieben.
Kein Objektiv, dafür aber eine mysteriöse Simkarte
Wir schließen uns somit der Bevölkerung an und klappern ein Einkaufszentrum nach dem anderen ab, hauptsächlich mit dem Ziel, das bereits in St. Petersburg gesuchte Objektiv zu finden, aber auch eine russische Sim-Karte zu kaufen um auf unserer kleinen feinen Zugreise nicht ganz von der Umwelt abgeschnitten zu sein. Den Plan das Objektiv günstig zu erstehen können wir schon nach kurzer Zeit verwerfen. In der ersten Filiale des Onlineshops in dem ich es gefunden hatte erklärt uns der Verkäufer mit Hilfe seines Tablets und Google Translate, dass das Sortiment online schon seit mehr als zwei Wochen nicht aktualisiert wurde und wir das Objektiv nicht mehr bekommen würden.
Dafür entdecke ich auf dem Weg hinaus einen Stand von MTS, des größten Mobilfunkproviders Russlands und beschließe eine Simkarte mit 8Gb Downloadvolumen um 600 Rubel zu kaufen. Mit einem beinahe professionellen Simkarten-Stanzgerät verwandelt sich die normaler Simkarte auch schnell in eine Mikro-Simkarte und muss nur noch ins Smartphone gesteckt und aktiviert werden. An diesem Punkt begehe ich den Fehler dies nicht sofort auszuprobieren – warum, das beschreibe ich später. (Wow, mein erster Cliffhanger in meinem Russland-Reiseblog – na, seid ihr schon gespannt, was mit der Simkarte passieren wird?)
Wieder einmal Borschtsch im gemütlichsten Wohnzimmer Moskaus
Bei der Suche nach einem netten russischen Lokal in Moskau hilft mir an diesem Punkt auch wieder einmal Foursquare weiter. Die Empfehlung lautet „Mari Vanna“, ein kleines feines Lokal mit vielen Katzenfotos (selbst hier im kalten Russland dürften Katzen einen hohen Beliebtheitsgrad im Social Web genießen, weiter östlich vielleicht die größeren sibirischen Tiger). Das Lokal stellt sich als absoluter Glückstreffer heraus: ein im Vintage-Stil gestaltetes kleines Restaurant das mit sehr viel Liebe zum Detail angenehme Wohnzimmeratmosphäre ausstrahlt und äußerst leckere Speisen serviert.
Auf dem Menü steht bei mir diesmal der obligatorische Borschtsch (ich esse ihn nicht nur gerne, ich brauche auch Werte anhand derer ich Benchmarks setzen kann) und auf Empfehlung der netten Kellner hin ein – ich zitiere die Speisekarte – „mit Liebe gebratenes Hähnchen, das in der Zubereitung etwas Zeit braucht“. Es hat sich ausgezahlt zu warten, denn selten habe ich so lecker gegessen.
Mit der Moskauer Metro geht es dann wieder ab in unser warmes Appartement. Beim Suchen der richtigen Stationen auf dem großen Linienplan in der Metro, dürften wir uns aber noch immer so hilflos anstellen, dass selbst an uns vorbeigehende Menschen Mitleid haben und uns auf der Karte die gesuchten Stationen anzeigen. Ab morgen soll dann die Moskau-Metro-App weiterhelfen, sofern das mit der Simkarte klappt, aber dazu mehr im Blog vom morgigen Tag.