Der zweite Tag in Moskau startet mit dem Versuch die gestern in einem Einkaufszentrum um 600 Rubel gekaufte Simkarte in Betrieb zu nehmen. Zum Glück liegt Paket eine genaue Beschreibung bei, blöderweise ausschließlich auf Russisch und in kyrillischer Schrift geschrieben. Einfach ins Smartphone einsetzen und aufdrehen geht natürlich nicht. Das Internet (wir haben W‑Lan im Appartement) und die englische Website des Mobilfunkbetreibers helfen leider auch nicht weiter und mit dem Eintippen irgendwelcher SMS-Codes die auf der Simkartenverpackung stehen bin ich etwas vorsichtig – immerhin möchte ich das gekaufte Guthaben nicht gleich unwissentlich für irgendwelche russischen Erotikpakete aufbrauchen (wissentlich auch nicht, denn angeblich hat man nicht wirklich Privatsphäre in den 3. Klasse Waggons, mit denen ich hauptsächlich reisen werde). Im Endeffekt bleibt mir nichts anderes übrig, als einen MTS-Shop aufzusuchen und mir helfen zu lassen, aber bis dahin werde ich noch etliche Versuche starten, diese Simkarte zum Laufen zu bringen – das gibt’s doch nicht, dass ich das nicht schaffe.
Njet heißt Njet, bzw. No auf englisch
Da wir bis 12 Uhr den Schlüssel für das Appartement in die gut versteckte mit einem streng geheimen Code (es ist weder das Geburts- noch das Todesjahr Lenins) geschützte Box im Stiegenhaus zurücklegen müssen, werden wir zuerst zum Jaroslawer Bahnhof fahren und dort unser Gepäck für die Abfahrt um Mitternacht verstauen.
Am Schalter zur Gepäckabgabe werden wir das erste Mal mit wirklich unfreundlichem sowjetischen diktatorischen Service konfrontiert. Wir geben unser Reisegepäck ab und zahlen 140 Rubel pro Stück und als wir nachträglich noch eine Thermosflasche und einen Reisepolster in die Koffer packen möchten und mehrmals den Versuch starten dem Burschen am Schalter zu erklären, dass wir nur noch zwei Dinge dazulegen möchten, werden wir mit einem sowjetrussischen „njet“ angeschnauzt. Nachdem wir nicht klein beigeben möchten, mit einem deutsch akzentierten „da“ erwidern und nochmal erklären, was wir tun möchten, schaffen wir es dem Schalterheini sogar ein englisches „No“ zu entlocken und das obwohl die Russen allgemein sehr wenig bis gar nicht englisch sprechen. Letztendlich bleibt uns aber nichts anderes übrig als mit der Thermoflasche und dem Reisepolster unter dem Arm unsere Sightseeingtour durch die Stadt zu starten.
Kaufe nie eine selbstgestanzte Simkarte, ohne sie zu testen
Vorher gilt es jedoch noch das Problem mit der Simkarte zu lösen, denn zumindest für Google Maps wäre der Internetzugang am Smartphone äußerst hilfreich. Für alle Geeks unter den Lesern, die sich jetzt fragen, warum ich den Kartenausschnitt um Moskau herum nicht einfach als Offline-Karte verfügbar gemacht habe: Google bietet die Funktion in der Maps-App für über 100 Länder dieser Erde an, naja, Russland ist in dieser Liste nicht dabei. Und für die, die sich fragen, warum ich nicht einfach einen faltbaren Stadtplan verwende: das ist mir zu wenig technisch, zu oldschool und zu touristisch, da irre ich lieber in einer 11 Millionen Metropole wie Moskau es ist herum. Also begebe ich mich zielstrebig in den nächstgelegenen MTS-Shop und versuche dem Verkäufer mit Handzeichen, verrussischtem Polnisch und dem nicht funktionierenden Smartphone zu erklären, dass ich gerne meine Simkarte aktivieren würde. Nachdem er diese in sein eigenes Handy steckt und ein paar Tastenkombinationen drückt (ich hoffe dass er nicht auf meine Kosten das erwähnte Erotikpaket bestellt), bekomme ich prompt eine russische Antwort. Ich verstehe sie zwar nicht vollständig, aber er dürfte das Problem identifiziert haben und schafft es mir sogar in weiterer Folge zu erklären, dass die Simkarte, die ich an einem offenbar unechten MTS-Stand gekauft habe, bereits im Jahr 2013 abgelaufen ist und ich ganz einfach betrogen wurde. Ich könnte aber nochmal 600 Rubel zahlen und diesmal eine echte Simkarte kaufen. Im Endeffekt bleibt mir nichts anderes übrig als dies zu tun.
Der Vorgang wirkt diesmal auch etwas seriöser – ich muss meinen Pass herzeigen, einen russischen Vertrag unterschreiben (der ausschließlich kyrillisch geschrieben ist, weshalb ich auch das erste Mal in meinem Leben kyrillisch unterschreibe und mich damit automatisch auch gegen jegliche vertragliche Forderungen absichere) und bekomme endlich eine originale, funktionierende nicht mit einem umgebauten Locher ausgestanzte Mikro-Simkarte.
Montag hat alles geschlossen, bis auf den Kreml
Die organisatorisch administrativen Tätigkeiten erledigt möchten wir nun den Bunker 42 sehen, ein aus dem kalten Krieg original erhaltener Zufluchtsort der Sowjets den man mit einer Tour besichtigen kann. Genauso wie das Lenin-Mausoleum, das Kosmonautenmuseum und das Bolschoi Theater ist auch der Bunker montags nicht für einzelne Personen geöffnet. Unter der an der Eingangstüre angeschriebenen Hotline erklärt eine Stimme einer anderen Russin, die gemeinsam mit uns den Bunker betreten wollte, dass man sich aber als Gruppe organisieren könnte und dann eine Führung buchen kann. Diese Information gibt sie uns in gebrochenem Englisch weiter, während wir ihr erklären, dass wir höchstwahrscheinlich nicht mehr bis 24 Uhr dieses Tages eine 10-köpfige Gruppe auf die Beine stellen werden um den Bunker zu sehen.
Nach einem Snack (das Lokal bietet leider keinen Borschtsch an, weshalb ein Benchmark für meine Lieblingsspeise ausgelassen wird) machen wir uns auf den Weg in den Kreml. Wie schon in St. Petersburg wird auch an der Kassa für den Eintritt in den Kreml mein österreichischer Studentenausweis nach skeptischer Begutachtung doch noch akzeptiert und ich spare 200 Rubel, so dass ich schon bald die abgelaufene Simkarte durch mein russisches Studentenalibi drinnen habe. Über einen Brückenzugang betreten wir durch ein Tor die zum UNESCO Weltkulturerbe gehörende, von roten Festungsmauern umgebene historische Altstadt Moskaus. Spätestens wenn man zum Kathedralenplatz kommt, ist man beeindruckt von den Palästen und Verwaltungsgebäuden, an denen man vorbeigegangen ist und insbesondere von den prächtigen Kathedralen, vor denen man an dieser Stelle steht. Zumindest vier große Kirchen präsentieren sich einem prunkvoll von diesem Platz aus, hinter diesen verbergen sich aber auch noch kleinere Kirchen bzw. Kapellen, die nicht weniger sehenswert sind. Ich möchte an dieser Stelle nicht jede einzelne beschreiben, denn das kann jeder interessierte Leser viel genauer und detaillierter auf eigene Faust im Internet nachlesen, ich möchte aber schon erwähnen, dass sie durch die unterschiedliche Kultur und die andere Religion ein für Westeuropäer komplett ungewohntes und einzigartiges Bild bieten. Wir schaffen es noch vor der Schließungszeit von 17 Uhr effizient jede einzelne zu betreten und uns Impressionen aus der vergangenen Zarenzeit zu holen. Aus den letzten zwei Palästen werden wir dann doch rausgebeten und verlassen mit vielen gesammelten Eindrücken den Kreml, vor Augen schon das nächste Ziel: der Kauf einer passenden Uschanka (diese typisch russische Sibirienmütze, die beide Ohren bedeckt).
Neue Mission: Kauf einer Uschanka
Nachdem die Mission „Objektivkauf“ gescheitert ist, das Besorgen einer Simkarte für Russland auch nur so mittelmäßig funktioniert hat, brauche ich ein neues Ziel, das ich die nächsten Tage verfolgen kann und ein weiteres spannungsgeladenes Thema, mit dem ich die Leser meines Blog von Eintrag zu Eintrag behalten kann. Im naheliegenden Gum finde ich tatsächlich schon die ersten Luxusmodelle dieser Kopfbedeckung um lächerliche 7000 Rubel (entspricht beim aktuellen Wechselkurs ca. 100 €, normalerweise nochmal um ein Drittel mehr). Bei diesem Preis nehme ich dann aber doch lieber abgefrorene Ohre in Kauf, auf die Gefahr hin, dass ich für eine etwaige Amputation auf Fremdohren vom russischen Organ- und Körperteile-Ersatzhandel zurückgreifen muss, die aber wahrscheinlich weniger als diese Uschanka kosten.
Mit Ekaterina durch die Stadt, Ohrfeige inklusive
Wenig später treffen wir uns noch mit Ekaterina, eine äußert liebe, sehr begabte und (was in diesem Moment für uns sehr hilfreich ist) in Moskau lebende Flötistin, die uns zu Fuß durch die Stadt begleitet und eine tolle persönliche Sightseeing-Tour parat hält. Gegen die beißende Kälte auf den Straßen hilft eine kurze Teepause in einem typisch russischen kleinen Lokal, in dem angeblich auch schon Puschkin Tee oder eher Wodka getrunken hat. Die Teepause wird jedoch schon bald mit einer doch eher unerwarteten, durch den ganzen Raum schallenden Ohrfeige eines betrunkenen Russen an seine Frau beendet. Dieser an Dramatik nun doch schwer zu überbietende Einschub schockiert aber zum Glück nicht nur uns, sondern auch Ekaterina und die anderen russischen Tee- und Wodkatrinker, so dass wir doch sehr bald beschließen das Lokal zu wechseln und über die Arbatskaja Straße in ein Restaurant gehen, dass eine Vielzahl an köstlichen Wareniki (russische gefüllte Teigtaschen) anbietet. Das Essen schmeckt lecker, der Wodka ebenso, so dass wir uns nach einem wirklich netten Abend mit Ekaterina nun gestärkt und beeindruckt von Moskau auf den Weg zum Bahnhof machen wo hoffentlich noch unser Gepäck im Aufbewahrungsraum steht und auch der Zug bald bereitgestellt wird mit dem wir die erste richtig lange Etappe nach Jekaterinburg fahren werden. Dazu und zu meine Uschanka-Suche dann mehr im nächsten Blogeintrag.